Gehorchen

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Dass Kinder lernen müssten zu gehorchen, ist wohl eines der grössten Missverständnisse: In der Erziehung sollte es um Freiwilligkeit gehen und nicht um Gehorsam. Als Eltern müssen Sie lernen, dem noch rohen und ungestümen Willen des Kindes Widerstand zu leisten, indem Sie ihm Herausforderungen bieten und ihm Grenzen setzen. Das beste Mittel dazu sind Regeln, die Sie gemeinsam mit ihm vereinbaren.

Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Natürliche Kooperationsbereitschaft des Kindes

Kinder kommen mit einem vollkommenen Vertrauen in ihre Eltern zur Welt. Schon allein deshalb tun und lassen sie, was ihnen die Eltern sagen. Jedenfalls, solange ihre Grundbedürfnisse immer und sofort befriedigt werden. Während der Phase der Vertrauensbildung sollen und dürfen Sie deshalb zu Ihrem Kind grundsätzlich immer und zu allem erst einmal "Ja" sagen (ausser natürlich, es drohen wirkliche Gefahren). Je mehr das Kind erfährt, dass Ihnen seine Bedürfnisse wichtig sind, desto mehr wird es später bereit sein, auch Ihre Bedürfnisse zu respektieren. Wenn das Kind also zum Beispiel seinen Bewegungsdrang genügend ausleben darf, werden Sie schon bald umgekehrt erfahren, dass es Ihnen völlig freiwillig folgt, wenn Sie irgendwo irgendeine Besorgung zu erledigen haben (die für Kinder in aller Regel ja nicht gerade spannend ist). Sie brauchen ihm bloss zu sagen, dass Sie zum Beispiel ein Kleid einkaufen wollen und dass es deshalb mit Ihnen mitkommen soll: Wenn es zuvor von Ihnen die Geduld erlebt hat, dass es jeden Stein begutachten durfte, der gerade auf dem Weg lag, wird es Ihnen den entsprechenden Gefallen auch tun. Sie müssen sich dabei bloss bewusst sein, dass Sie die Entscheidung, wann genug Steine untersucht sind, wann immer möglich dem Kind überlassen müssen. Vertrauen Sie also der natürlichen Kooperationsbereitschaft des Kindes und Sie werden staunen, wie einfach es geht!

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Abmachungen

Etwas schwieriger wird es, wenn das Kind zu laufen beginnt. Im Idealfall leben Sie in einer Umgebung, in der das Kind so viel und so weit laufen darf, wie es mag. Leider ist das in unserer modernen Gesellschaft aufgrund der mannigfaltigen Gefahren, die überall lauern, kaum mehr möglich (im Gegensatz zu Naturvölkern, in denen die Menschen in Sippen und ohne künstliche Gefahren leben). Immerhin sollten Sie sich wenigstens in Ihrer eigenen Wohnung so einrichten, dass das möglich ist. Das heisst zum Beispiel, dass die Steckdosen kindersicher sind oder dass das Sofa nicht gerade derart heikel ist, dass Sie sich dauernd fürchten müssen, dass es von den Kindern verschmutzt werden könnte. Und auch auswärts oder im Urlaub sollten Sie zumindest in den ersten Jahren zuerst an die Bedürfnisse der Kinder denken. Zum Beispiel ist es für Kinder sehr viel spannender, im Wald Würste zu braten als in einem schicken Restaurant ruhig auf das Essen warten zu müssen. Und ganz nebenbei ist es auch für Sie als Eltern sehr viel entspannter, als wenn Sie dauernd die Kinder zur Ruhe und zum Stillsitzen auffordern müssen ("Sei schön brav").

Wenn Sie den Bewegungsdrang Ihres Kindes wegen tatsächlicher Gefahren einschränken müssen, ist es vor allem wichtig, dass Sie dem Kind auch klar sagen, weshalb. So können Kinder zum Beispiel die Gefahren des Strassenverkehrs schon aufgrund ihrer beschränkten kognitiven Fähigkeiten noch nicht einschätzen, weshalb denn auch Ihre Angst sehr wohl berechtigt ist. Sagen Sie Ihrem Kind also, wenn es selbständig über die Strassen gehen will, dass Sie Angst haben, statt es einfach anzuschreien, um es zum Anhalten zu bewegen. Erklären Sie ihm, dass es von einem Auto überfahren werden könnte und dass Sie deshalb mit ihm abmachen, wie die Regeln beim Strasse überqueren funktionieren. Nehmen Sie es zum Beispiel an der Hand, knien Sie zum ihm nieder und lassen Sie es beobachten, wann das Auto ganz angehalten hat. Wichtig ist, dass das Kind diese Regel versteht (was durch konsequente Wiederholungen von alleine passiert), sodass es sich mitverantwortlich fühlt. So wird es sich von sich aus grösste Mühe geben, die Regeln einzuhalten und womöglich schon bald seinerseits darauf bestehen.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Herausforderungen und Grenzen

Wenn das Kind seinen Willen zu entwickeln beginnt, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, nimmt sein Verlangen nach Selbständigkeit nochmals eine ganz andere Dimension an. Während Sie ihm zuvor noch relativ einfach sagen konnten, bis wohin es gehen darf, wird es nun selbst erfahren wollen, wo die Grenzen liegen und nach immer neuen Herausforderungen suchen. In diesem Alter können Kinder eigentliche Allmachtsphantasien entwickeln und zum Beispiel mit voller Überzeugung behaupten, sie könnten auf den Mond fliegen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn das Sprichwort "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!", stimmt in diesem Alter eben noch: Der Wille ist noch in seiner ursprünglichen, vollen, aber eben auch ungehemmten, Kraft da.

Dieser noch rohe Wille wird früher oder später unweigerlich mit der Umwelt des Kindes beziehungsweise den Absichten der Mitmenschen des Kindes zusammenstossen. Der Wille muss deshalb gewissermassen kultiviert werden. Die Fähigkeit dazu bringt das Kind aber nicht einfach von Natur aus mit, sondern es braucht dazu seine Eltern, die ihm vermehrt auch Widerstand leisten. Sie müssen also zu einer Art Sparringspartner werden und lernen, das Kind zu fordern und ihm auch Grenzen zu setzen. So kann das Kind lernen, seinen Willen zu steuern, vergleichbar mit einem Automotor, der auch nicht immer mit seiner vollen Leistung laufen gelassen werden kann, sondern mit viel Umsicht gesteuert werden muss, vom Leerlauf über mehrere Schaltvorgänge und Beschleunigungsstufen bis zum dosierten Bremsen oder gar zur kontrollierten Vollbremsung. Eltern müssen deshalb lernen, ihrem Kind auch "Nein!" zu sagen, laut und deutlich, dafür bloss einmal. Kinder können das ohne weiteres akzeptieren, jedenfalls dann, wenn sie zuvor, also in den beiden ersten Lebensjahren, ein bedingungsloses "Ja" erfahren haben. Haben sie hingegen schon in der Phase der Vertrauensbildung (meist völlig unnötige) Einschränkungen erlebt, werden sie viel mehr Mühe haben, ein "Nein!" akzeptieren zu können. Die Akzeptanz eines "Nein!" setzt ein tragfähiges Vertrauensverhältnis voraus. Ist dieses Vertrauen nicht genügend tragfähig, kann das "Nein!" sehr schnell als Liebesentzug empfunden werden. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass Eltern, die Mühe haben "Nein!" zu sagen, auch nicht wirklich "Ja" sagen können (und umgekehrt). Die beiden Prinzipien bedingen sich nämlich gegenseitig.

Wenn Sie sich zum ersten Mal mit Ihrem "Nein!" dem Kind entgegenstellen, wird es vielleicht erschrecken, vor allem wenn es sich gewohnt war, dass Sie zuvor grundsätzlich zu allem "Ja" sagten (was in der Phase der Vertrauensbildung durchaus richtig war!). Das macht gar nichts! Heikel wäre bloss, wenn Sie zögern und versuchen, sich mit einem "Jein" oder einem faulen Kompromiss der drohenden Konfrontation zu entziehen. Denn das Kind braucht von Ihnen Klarheit, es kann die verschiedenen Abstufungen zwischen Wollen, Möchten, Bitten und Wünschen noch nicht verstehen. Sie müssen also anfangs nach dem Motto "entweder oder" arbeiten. Die Konfrontation kann natürlich zur Folge haben, dass das Kind Ihr "Nein!" nicht zu akzeptieren bereit ist und zu toben beginnt. Auch das ist ganz natürlich. Sie müssen bloss bereit sein zu lernen, angemessen auf das Toben zu reagieren.

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Vereinbarungen

Wenn sich das Kind nach dem ersten Tobsuchtsanfall beruhigt hat, können Sie beginnen, mit ihm entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Tun Sie das gemeinsam, sodass sich das Kind mitverantwortlich fühlen kann. Sie werden staunen, wie kooperativ Kinder sein können, wenn ihre Anliegen auch berücksichtigt werden! Es bleibt aber immer noch in Ihrer Verantwortung nachzuprüfen, ob die Regel auch tatsächlich eingehalten wird und allenfalls das Kind daran zu erinnern.

Höchst problematisch ist der häufig gehörte Vorwurf, das Kind könne das "Nein!" nicht respektieren. Denn dafür sind einzig die Eltern verantwortlich. Es liegt an Ihnen zu lernen, dem Kind auch angemessen Widerstand zu leisten, Sie müssen lernen "Nein!" zu sagen (das Kind kann es schon von Natur aus) und konsequent dabei zu bleiben. Das gilt gerade auch dann, wenn das Kind zu toben beginnt und Ihre Standhaftigkeit braucht. Es geht dabei nicht darum, wer am Ende "siegt", sondern dass das Kind erfahren kann, dass sein Wille zwar mit dem Ihrigem zusammenstossen kann, dass es aber letzlich "trotzdem" geliebt wird.

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Mögliche Folgen des Gehorsams

Selbstverständlich ist ein gewisser Gehorsam in bestimmten Organisationen wie der Polizei angebracht, ja sogar unabdingbar, ansonsten diese gar nicht funktionieren würden. In der Erziehung sollte es aber um andere Werte gehen, schliesslich stehen nicht Gefahren oder Gewaltmissbrauch im Vordergrund, sondern Menschen, deren Persönlichkeit sich entwickeln soll. Kinder können natürlich sehr wohl zu Gehorsam gebracht werden, allerdings hat das weniger mit Erziehung zu tun als viel mehr mit Dressur. Das beste Mittel dazu ist der Einsatz von Zuckerbrot und Peitsche, also das Wechselspiel von Drohen beziehungsweise Strafen und Belohnen. Damit wird aber weder Vertrauen geschaffen noch kann das Kind erfahren, wie es konstruktiv mit seinem Willen umgehen kann. Die Folgen für die Ziele einer wirklichen Erziehung, Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit, können denn auch fatal sein. Bedenken Sie also immer, dass es nicht darum geht, dass das Kind zu gehorchen lernt, sondern dass Sie lernen, klare Regeln abzumachen beziehungsweise zu vereinbaren und diese auch selbst konsequent einhalten!

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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