Loslassen

Aus 2 x 2
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Erziehung könnte man auch als einen einzigen Prozess des Loslassens betrachten, angefangen von der Geburt bis zum Auszug des Kindes aus der elterlichen Wohnung. Gleichzeitig verlangen und brauchen Kinder immer wieder den elterlichen Halt. Für das Kind ist es eine Art Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz. Und während es dauernd danach strebt, sich von den Eltern häufiger und weiter zu entfernen und sich selbständig zu machen, braucht es gerade dann die bedingungslose Rückversicherung, dass Sie jederzeit bereit sind, es wieder in die Arme zu nehmen, wenn es nur danach verlangt.

Die Gratwanderung zwischen Halten und Loslassen ist eine ziemlich einseitige Aufgabe: Sie sollen das Kind so viel wie möglich loslassen und so wenig wie nötig halten, während das Kind jederzeit ganz allein sollte bestimmen können, wie viel möglich oder nötig ist.

^ nach oben

Schwangerschaft und Geburt

Schon die Zeit von der Zeugung bis zur Geburt steht offensichtlich im Spannungsfeld zwischen Halten und Loslassen. Während diese Aufgabe der schwangeren Mutter von Natur aus innewohnt, muss sie für den werdenden Vater erst noch bestimmt werden, kommt ihm doch in dieser Zeit eine eher unterstützende Funktion zu, ja er kann sich sogar von der Innigkeit zwischen der werdenden Mutter und dem Ungeborenen ausgeschlossen fühlen.

^ nach oben

Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Während der Vertrauensbildung braucht das Kind schon aus rein körperlichen Gründen sehr viel Halt, muss es doch erst noch selbständig sitzen und später laufen lernen. Das heisst aber nicht, dass es nicht auch gelegentlich wieder losgelassen werden will. Es braucht nicht einfach unbeschränkt viel Nähe, sondern will vielmehr selbst bestimmen, wann es von Ihnen wie viel braucht. Sie sollten deshalb von Anfang an für die Signale aufmerksam sein, die es mit seiner Mimik oder Gestik aussendet. Übergehen Sie diese Signale nicht leichtfertig, denn es geht darum, dass auch Sie als Eltern die Grenzen des Kindes respektieren. Natürlich dürfen Sie das Kind spasseshalber packen und knuddeln, doch müssen Sie dabei spüren lernen, wo der Spass für das Kind aufhört. Bedenken Sie immer, dass es ein einseitiges Recht des Kindes ist, gehalten zu werden, und Sie umgekehrt bloss die Pflicht haben, das Kind jederzeit zu halten oder loszulassen, wenn es nach dem Einen oder Anderen verlangt.

Im übrigen können Kinder ihrerseits schon von Natur aus und ohne weiteres loslassen, jedenfalls wenn sie genügend Geborgenheit spüren. Daran sollten Sie vor allem denken, wenn es um das Einschlafen geht: Ist das Kind wirklich müde und bereit zum schlafen, kann es problemlos loslassen und einschlafen.

^ nach oben

Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, wird es nicht mehr bloss gegen zu viel Gehalten werden protestieren, sondern sich von seinen Eltern geradezu losreissen. Von tatsächlichen Gefahren abgesehen, besteht denn auch kein Grund, das Kind zurückzuhalten, seinen Weg zu gehen und Herausforderungen zu suchen. Denn es sucht und braucht nun Grenzen. Lassen Sie das Kind Entdeckungen machen und Risiken eingehen. Es muss selbst erfahren können, was es sich zumuten kann.

Der frisch erwachte Wille des Kindes kann dabei natürlich mit Ihrem kollidieren, eigentlich ein Zeichen der gesunden Entwicklung. Entscheidend ist aber, dass Sie bereit sind, auch Widerstand zu leisten, indem Sie dem Kind Grenzen setzen. Denn auch das bedeutet loslassen: Sie müssen lernen, dass die Innigkeit, die Sie bisher mit dem Kind erlebt haben, gestört werden kann, weil das Kind plötzlich ganz eigenen Absichten entwickelt. Wenn Sie mit diesen Absichten nicht einverstanden sind, müssen Sie sich dem entgegenstellen, indem Sie "Nein!" sagen und Widerstand leisten. Solche Konfrontationen können anfangs leicht dazu führen, dass das Kind zu toben beginnt und Sie lernen müssen, angemessen auf das Toben zu reagieren. Erst danach können Sie sich wieder versöhnen.

^ nach oben

Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Spätestens wenn das Kind in die (Vor)Schule geht, müssen Sie es zwangsläufig loslassen können, das Sie es nun nicht mehr dauernd umsorgen und beaufsichtigen können. Das mag Ihnen Angst machen, doch sollten Sie während den beiden vorangegangenen, alles entscheidenden Phasen der Erziehung so viel Vertrauen zum Kind aufgebaut haben, dass Sie sich darauf verlassen können, dass es nun mindestens so weit selbst zu sich schauen kann, als es zum Beispiel den Schulweg allein meistern kann oder Ihnen von schwierigen Erfahrungen in der Schule von sich aus berichtet. Mehr und mehr müssen Sie sich auch bewusst werden, dass Sie Ihr Kind nicht mehr vor jeder Gefahr schützen können. Das wird Ihnen desto besser gelingen, je besser Sie zuvor gelernt haben, dem Kind zumindest Bagatellgefahren zuzumuten. Denn nur wenn das Kind erfahren durfte, mit harmlosen Gefahren umzugehen, bleibt sein natürliches Gespür für Risiken erhalten, sodass es auch allein einschätzen kann, welche es vernünftigerweise eingehen kann und welche es besser bleiben lässt.

Spätestens mit der Pubertät werden die körperlichen Kräfte und kognitiven Fähigkeiten des Kindes so weit entwickelt sein, dass Sie es auch mit roher Gewalt nicht mehr halten können. Dem sollten Sie sich frühzeitig bewusst sein, denn wenn Sie sich noch in diesem Alter auf Machtkämpfe einlassen, können diese leicht für beide Seiten gefährlich enden. Umso wichtiger ist es, dass Sie während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung alles dafür getan haben, dass das Kind genügend reif ist, um in seiner Familie auch dann noch ein geregeltes Zusammenleben führen zu können, wenn aus ihm ein geschlechtsreifer Jugendlicher geworden ist, der von der Natur her eigentlich bereits eine eigene Familie sollte gründen können und die Herkunftsfamilie verlassen sollte.

^ nach oben

Erwachsenwerden (etwa 16 bis 25 Jahre)

Die letzte Stufe des Loslassens bricht an, wenn es Zeit ist, dass Ihre Kinder das traute Heim verlassen wollen. Der Auszug der Kinder mag für viele Eltern schmerzlich sein, denn nun geht es nicht mehr um das schrittweise Loslassen, sondern um einen, zumindest in gewisser Hinsicht, endgültigen Abschied. Doch sollte der Auszug zunächst ein Grund zur Freude sein, ist es doch eine Bestätigung dafür, dass Sie Ihre Erziehungsaufgaben so gut gelöst haben, dass Ihre Kinder nun selbständig sind und die Verantwortung für ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen.

^ nach oben

Weiterführende Themen

^ nach oben

Übergeordnetes Thema

Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

^ nach oben

^ nach oben