Schreiendes Kleinkind

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Wenn ein Kleinkind schreit, fehlt ihm etwas oder es leidet unter etwas. Dabei geht es immer um Grundbedürfnisse des Kindes, die in der Phase der Vertrauensbildung (also noch vor der Willensbildung) möglichst immer, sofort und bedingungslos befriedigt werden sollten. Schreien lassen ist keine vernünftige Option!

Grundbedürfnisse

Wenn ein Kleinkind schreit, geht es immer und ausschliesslich um seine Grundbedürfnisse. Und diese müssen bedingungslos und möglichst sofort befriedigt werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein hungriges Kind warten zu lassen oder ein Kind, das den Schlaf nicht finden kann, einfach in seinem Zimmer liegen und weiterschreien zu lassen. Kleinkinder haben noch keine Vorstellung einer Zukunft, sie könne deshalb nicht verstehen, dass sie "bloss etwas warten" sollen oder dass "alles wieder gut kommt". Ihre Anliegen sind also existenziell, es geht immer um Alles oder Nichts. Kompromisse oder Relativierungen sind in dieser Phase noch eine völlige Überforderung des Kindes.

Sorgen Sie deshalb dafür, dass Sie zumindest während der Phase der Vertrauensbildung genügend Freiraum und Kapazität haben, um sich dem Kind und seinen Bedürfnissen vorrangig widmen zu können. Das ist zwar eine sehr hohe Beanspruchung Ihrer Kräfte, doch werden Sie später um ein Mehrfaches dafür belohnt werden! Denn in den ersten beiden Jahren legen Sie die Grundlage Ihrer Erziehungsarbeit, indem Sie lernen dem Kind beziehungsweise seinen Grundbedürfnissen und Fähigkeiten zu vertrauen. Ein Kind, das sich darauf verlassen kann, dass seine Grundbedürfnisse zuverlässig befriedigt werden, gewinnt in gleichem Masse an Selbstvertrauen. Dieses Selbstvertrauen wiederum ist die Grundlage dafür, dass es in der nächsten Phase, also der Phase der Willensbildung ab etwa dem dritten Lebensjahr, lernen kann mit Grenzen umzugehen: Nur ein Kind, das genügend Selbstvertrauen hat, hat auch genügend Frustrationstoleranz, um Widerstände akzeptieren zu können. Schreien dient weder dem Stärken der Lungen, wie in früheren Zeiten noch gerne behauptet, noch der Stärkung des Willens, um den es in dieser Phase des Lebens noch gar nicht gehen kann. Das Kleinkind schreit einzig darum, weil es sich noch nicht anders ausdrücken kann.

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Offensichtliche Grundbedürfnisse

Zunächst geht es um die Befriedigung der offensichtlichen Grundbedürfnisse, also um gestillt werden beziehungsweise essen, Schutz vor Kälte beziehungsweise Wärme, Wickeln, Ruhe und Schlaf beziehungsweise Bewegung. Anfangs werden Sie bloss durch Ausprobieren herausfinden, was dem Kind fehlt, doch schon bald werden Sie auch die Mimik und Gestik des Kindes besser verstehen, sodass Sie je länger desto einfacher und schneller spüren, was dem Kind gerade fehlt.

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Weitere Grundbedürfnisse

Das Kind hat eine Reihe weiterer Grundbedürfnisse, die nicht ganz so offensichtlich aber genauso wichtig sind, so insbesondere das Bedürfnis

zu werden. Diesen weiteren Grundbedürfnissen ist vor allem gemeinsam, dass sie häufig für die Eltern keinen "vernünftigen" Grund haben - und trotzdem (oder gerade deshalb!) für die Entwicklung des Kindes von grundlegender Wichtigkeit sind. So will das Kind schlicht um seiner selbst willen beachtet werden (und nicht nur dann, wenn es etwas besonders Lustiges oder Schönes vollbracht hat) oder es will nicht nur gehalten oder getragen werden, weil es müde ist, sondern auch weil es "bloss" Ihre Nähe sucht. Und manche Kinder sind traurig, ohne zu wissen weshalb. Das Kind braucht dann ganz einfach Ihre Aufmerksamkeit. Kinder, die in dieser Zeit von ihren Eltern bedingungslos erhalten, was sie brauchen, fühlen sich in ihrem Vertrauen in die Eltern bestätigt und entwickeln im gleichen Masse ein gesundes Selbstvertrauen.

In der Phase der Vertrauensbildung hat das Kind ausschliesslich Grundbedürfnisse, also weder Wünsche noch Absichten, seine Eltern zu manipulieren! Vergessen Sie deshalb die Vorstellung, dass das Kind irgendetwas erreichen wollte, dem Sie sich entgegensetzen müssten (der Wille entwickelt sich in der Regel erst etwa im dritten Lebensjahr). Gehen Sie davon aus, dass Sie Ihr Kind immer beruhigen können (wenn nicht gerade ein medizinisches Problem vorliegt). Ihr Kind verlangt nichts Unmögliches von Ihnen, glauben Sie vielmehr an seine Kooperationsbereitschaft. Und wenn es schliesslich, doch nicht klappt: Holen Sie Hilfe, bevor Sie sich überfordert fühlen und sich wegen Ohnmachtsgefühlen womöglich zu Handlungen hinreissen lassen, die Sie bereuen würden!

Die bedingungslose Befriedigung der Grundbedürfnisse ist das beste Mittel um zu verhindern, dass das Kind überhaupt schreien muss!

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Beruhigen

Gelassenheit

Wenn ein Kind schreit, braucht es zunächst Ihre Ruhe. Ihre Gelassenheit bestätigt dem Kind, dass es Ihnen vertrauen kann. Kinder haben die unerschütterliche Erwartung, dass ihre Eltern ihnen immer und sofort helfen können. Daran sollten Sie auch gerade dann glauben, wenn es Ihnen nicht auf Anhieb gelingt. Das Kind spürt sehr gut, ob Sie selbst Vertrauen in das Leben haben oder zu schnell zu zweifeln beginnen. Seien Sie sich bewusst, dass Ihr Kind von Ihnen nichts Unmögliches erwartet, sondern bloss dass Sie sich Mühe geben, möglichst alles für es zu tun!

Solange ein Kind schreit, macht es auch keinen Sinn, mit ihm sprechen zu wollen, ihm Anweisungen zu geben ("Hör auf zu schreien!") oder gar Vorwürfe zu machen ("Du bist ein elender Schreihals!"). Das Kind wird das erstens kaum hören und zweitens als Aggressivität empfinden, sodass ein eigentlicher Teufelskreis entsteht. Sie können es aber fragen, was ihm fehlt oder was es braucht. Es kann darauf zwar auch nicht antworten, doch wird es spüren, dass Sie sich um es kümmern. Zudem werden Sie durch Ihre Fragen häufig selbst die Antworten finden! Wichtig ist immer, dass Ihre Stimme ruhig bleibt. Und meistens genügen dem Kind schon sanfte Töne, Summen oder sanftes Singen.

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Fragen

Um Ihr Gespür für das zu schulen, was das Kind von Ihnen braucht, können Sie es auch immer wieder fragen. Das Kind kann Ihnen zwar vielleicht noch nicht in Worten antworten, doch wird es ihm schon helfen, wenn es spürt, dass Sie bemüht sind ihm helfen zu wollen. Nach und nach werden Sie zudem seine Mimik und Gestik besser verstehen und auf diese Weise Antworten erhalten. Wenn Sie sich von Anfang an angewöhnen, das Kind zuerst nach seinem Befinden zu fragen, lernen Sie ganz nebenbei auch noch, Vorurteile zu verhindern. Denn als Eltern laufen Sie aufgrund der natürlichen Nähe sehr einfach die Gefahr zu meinen, Sie wüssten am besten, was Ihrem Kind gut tut. Das mag zwar häufig zutreffen, doch ist es letzten Endes allein das Kind, das weiss, wie ihm ist und was es braucht. Wenn Sie das respektieren können, werden Sie sich schon bald darüber freuen können, dass umgekehrt auch das Kind sehr viel einfacher Respekt entwickeln kann.

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Körperkontakt

Ihre Fürsorge und Ruhe will das Kind auch körperlich spüren. Körperkontakt ist für Kleinkinder mindestens so wichtig wie eine beruhigende Stimme oder Blickkontakt. Eine hervorragende Grundlage für dieses Grundgefühl des Getragen werden sind natürlich Kindertragen (insbesondere anstelle von Kinderwagen). Kinder, die viel Körperkontakt erhalten, haben schon zum vornherein viel weniger Anlass zu schreien, da sie förmlich spüren, dass die Mutter oder Vater für sie da sind, während schon allein die Distanz vom Kinderwagen zu den Eltern für Kleinkinder viel zu gross ist (es gibt aber durchaus auch Kinder, die nicht nur mehr Distanz ertragen, sondern sogar brauchen, Sie müssen also durch Ausprobieren ein Gespür dafür entwickeln).

Streicheln und Liebkosen

Probieren Sie aus, ob, wo und wie das Kind gestreichelt oder liebkost werden möchte. Streicheln hat für Kinder eine ähnliche Wirkung wie eine Massage für Erwachsene (die dabei ja meistens auch ziemlich schläfrig werden!). Die sanften Fingerkuppen, die langsam über den Kopf gleiten, können Wunder bewirken. Manche Kinder mögen aber zum Beispiel lieber an den Füssen gestreichelt werden, andere wiederum brauchen ganz allgemein sehr wenig Körperkontakt. Für Sie als Eltern tut sich also ein weiters Feld auf, um Ihr Gespür zu entwickeln.

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Halten und Tragen

Nehmen Sie das schreiende Kind deshalb in die Arme (statt ihm zum Beispiel einfach "Psst!" in den Kinderwagen zuzurufen). Schon alleine das Gefühl des Getragen werden beruhigt das Kind. Manche Kinder, insbesondere Säuglinge, brauchen das Gefühl des Gehalten werden sehr intensiv und wollen sehr kräftig gedrückt werden (das vermittelt ihnen das bekannte Gefühl aus der Zeit der Schwangerschaft). Probieren Sie deshalb aus, wieviel Druck das Kind von Ihren Händen braucht, manchmal ist es erstaunlich viel.

Ganz allgemein hilft es den meisten Kindern, wenn sie sich an das wohlige Paradies der "Rundumversorgung" aus der Zeit der Schwangerschaft erinnern können! Sie können auch den wogenden Schritt von Schwangeren nachahmen und sich dabei vorstellen, Sie seien ein Schifflein, das sich vom Wellengang treiben lässt. Die meisten Kinder bevorzugen beim Wiegen übrigens einen langsamen Gang, versuchen Sie deshalb den richtigen Rhythmus zu erspüren. Für andere Kinder ist es wichtig, dass sich die (nackten) Füsse gegenseitig berühren können. Oder die einen wollen in Gesellschaft sein, während andere lieber in einem geschützten Raum beruhigt werden wollen. Sie werden einiges ausprobieren müssen und dabei Ihr Gespür schulen können. Hilfreich kann auch sein, wenn Sie Ihren eigenen Atem bewusst wahrnehmen, das allein hat schon eine beruhigende Wirkung!

Insbesondere bei den gefürchteten Dreimonatskoliken hilft der Fliegergriff, wobei das Kind mit dem Bauch in der offenen Hand liegt. Diese Haltung kann noch ausgebaut werden, indem die Arme des Kindes zusammen unter seinen Kopf gelegt werden, was noch mehr Geborgenheit vermittelt. Hilfreich ist meistens auch noch, wenn Sie das Kind dazu hin und her wiegen. Patentrezepte gibt es aber kaum, Sie müssen also selbst erspüren, was dem Kind am besten tut!

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Trost

Immer wieder werden Sie beim besten Willen keinen Grund für das Schreien des Kindes finden. Das Kind braucht einfach Trost. Trost braucht auch gar keinen Grund, er sollte vielmehr bedingungslos sein, denn er ist ebenso ein Grundbedürfnis des Kindes wie zum Beispiel Essen oder Schlaf. Ob Sie das Kind auch troststillen, mag eine eher persönliche Frage sein, zu bedenken ist aber: was bei Säuglingen noch unproblematisch ist, kann bei später natürlich das Abstillen eher hinauszögern als vereinfachen.

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Kontraproduktives Verhalten

Verwöhnen?

Die sofortige und bedingungslose Befriedigung der Grundbedürfnisse des Kindes ist ein Verwöhnen im positiven Sinn: Sie dürfen und sollen dem Kind so viel Nähe, Essen, oder Liebkosungen geben, wie es verlangt. Heikel wird es erst, wenn Sie ihm mehr geben, als es mag, denn mit solchen "Zwangsbeglückungen" können Wünsche auch provoziert werden. Das Kleinkind verlangt weder viel noch wenig, sondern genau so viel, wie es braucht. Es gibt Kinder, die mehr Nähe brauchen und solche, die mehr Bewegung brauchen. Entscheidend ist, dass das Kind in der Phase der Vertrauensbildung von seinen Eltern bekommt, was es erwartet. Dadurch wird sein Vertrauen in die Welt bestätigt und entsprechend kann es Selbstvertrauen aufbauen.

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Ersatzbefriedigung

Manche Eltern versuchen ihr Kind zu trösten, indem sie ihm Süsses geben, wenn ihm irgendwelche Unbill widerfahren ist, es zum Beispiel das Spielzeug vom grossen Geschwister nicht erhält. Derartige Ersatzbefriedigungen sind äusserst heikel. Als Eltern sollten Sie besser lernen, den Schmerz des Kindes auszuhalten und es dafür wirklich zu trösten. Ein Kind kann nämlich mit Missgeschicken und Misserfolgen bestens umgehen. Es braucht einzig seine Eltern, wenn es Schmerz oder Trauer empfindet. Wenn es hingegen bloss vertröstet wird, lernt es einen falschen Zusammenhang: "Wenn ich Süsses will, muss ich bloss schreien und schon bekomme ich etwas."

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Schreien lassen

Die in früheren Zeiten noch gängige Methode, ein Kind Kind einfach so lange schreien zu lassen, bis es aufhört oder vor Erschöpfung einschläft, mag zwar zwar vordergründig erfolgreich sein. Tatsächlich aber hat das Kind schlicht und einfach resigniert: Es hat bis zu seiner Erschöpfung vergeblich dafür gekämpft, dass ihm geholfen wird. Damit verliert es sein generelles Vertrauen in das Leben beziehungsweise in seine Eltern. Das wiederum wirkt sich vor allem negativ auf das Selbstvertrauen aus. Im schlimmsten Fall wird auch noch der Lebenswille so sehr beeinträchtigt, dass die Gefahr von resignativem Verhalten bis hin zu späteren Depressionen gross ist.

Ein Kind, das schreit, braucht also immer Ihre Aufmerksamkeit und muss von Ihnen zumindest getröstet werden. Alles andere wäre höchst kontraproduktiv. Kinder geben nicht so schnell auf, sie wollen leben! Wenn Sie sich nicht sofort um das Kind kümmern, wird es einfach noch schneller und noch lauter zu schreien versuchen. Erst wenn es immer wieder erfahren hat, dass es sich tatsächlich auf Sie verlassen kann, wird sein Vertrauen bestätigt und Sie können ihm mehr und mehr zutrauen, dass es zum Beispiel noch etwas warten kann. Diese zunehmende Toleranz des Kindes dürfen und sollen Sie nutzen.

Umgekehrt brauchen Sie aber auch nicht schon beim leisesten immer gleich aktiv werden: Entwickeln Sie ein Gespür dafür, wie lange das Kind noch zufrieden mit sich selbst beschäftigt oder sich schon selbst helfen kann ist und ab wann es wirklich nach Ihnen ruft. Es geht dabei nicht darum, dass Sie mehr oder weniger lange warten, sondern darum, dass Sie möglichst den richtigen Zeitpunkt erwischen.

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Manipulieren

Ab und zu meinen Eltern, ihr Kind wolle sie durch sein Schreien manipulieren. Das ist natürlich ein Irrtum, denn dazu sind Kinder in diesem Alter noch gar nicht fähig, zumindest nicht von Natur aus. Beeinflussungsversuche setzen einen Willen voraus, der in der Regel erst etwa im dritten Lebensjahr erwacht. Allerdings ist es durchaus möglich, dass Eltern ihrerseits dem Kind Fehlverhalten gewissermassen anerziehen, das sie danach als manipulatives Verhalten des Kindes interpretieren. Wenn Sie zum Beispiel schon dem Kleinkind Süssigkeiten anbieten (nach denen es von Natur aus gar nie verlangen würde!), weil Sie sich dadurch zum Beispiel seine Zuneigung erhoffen, können Sie es auch daran gewöhnen, dass es sich dabei um etwas Gutes handelt, da es Ihnen ja noch vollkommen vertraut. Wenn dann später die Süssigkeiten auch noch dazu dienen, das Kind zu vertrösten, statt ihm wirklichen Trost zu spenden, wird es durch genügende Wiederholungen den Zusammenhang irgendwann verstehen und feststellen, dass es bloss schreien muss um Süssigkeiten zu erhalten. Im Grunde genommen geht es dabei also mehr um Manipulieren der Eltern, wenn auch meistens völlig unbewusst. Wenn Sie dem Kind dann auch noch Vorwürfe machen, ist der Teufelskreis perfekt.

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Übergeordnetes Thema

Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)

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