Vernunft des Kindes

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Im Rahmen des "Zweimalzwei der Erziehung" ist mit Vernunft der gleichzeitige Gebrauch von

gemeint. Während es beim Gespür mehr um die gefühlsmässige Erkenntnis geht, geht es beim Verstand mehr um die geistige Erkenntnis und das entsprechende Entscheiden und Handeln. Wenn der Mensch beides in Einklang bringt, wird hier von Vernunft gesprochen.

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Von Geburt an vernünftig

Während das Kind schon von Natur aus ein sehr feines Gespür hat (zu dem Sie als Eltern entsprechend Sorge tragen sollten), entwickelt es den Verstand erst nach und nach. Entscheidend ist jedoch weniger, wie weit entwickelt der Verstand schon ist, sondern dass er gleichwertig und zusammen mit dem Gespür gebraucht wird.

Das Zusammenspiel von Gespür und Verstand ist für das Kind völlig selbstverständlich. Es verhält sich also schon von Natur aus absolut vernünftig! Und das ganz im Gegensatz zu Erwachsenen, die das im Laufe des Lebens meistens verlernt haben und bestenfalls noch feststellen, "dass der Kopf etwas anderes will als der Bauch" (wobei Menschen regelmässig meinen, sie würden rational handeln, tatsächlich aber viel mehr von ihren Gefühlen geleitet werden). Sie brauchen deshalb weder das Kind zur Vernunft aufzufordern ("Sei doch endlich vernünftig!") noch mit Gewalt "zur Vernunft zu bringen": Es ist bereits vernünftig! Sie sollten vielmehr lernen, Ihrem Kind und seinen Gefühlen zu vertrauen und zu beobachten, was es wann verstehen kann.

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Erhalt der Vernunft

Die Vernunft von Kindern mag für die Eltern gerade anfangs nicht so offensichtlich sein, weshalb es umso wichtiger ist, dass Sie lernen, Ihrem Kind zu vertrauen:

  • Schlafen: Wenn ein Kind müde ist, schläft es ein. Und zwar ganz von alleine, ohne dass Sie irgendetwas steuern müssten. Das ist auch nichts als vernünftig, denn das Kind braucht den Schlaf, spürt und weiss das auch. Und es schläft genau so viel und so lange, wie es nötig hat. Es braucht dazu weder eine Uhr noch irgendwelche Tabellen mit Schlafenszeiten. Als Eltern müssen Sie bloss aufmerksam sein, um zu merken, wann das Kind erstens wirklich müde ist und wann es zweitens bereit ist, um loslassen und einschlafen zu können. Wider alle Vernunft wäre hingegen, zu bestimmten Uhrzeiten schlafen zu gehen. Zwar können Sie mit etwas „sanftem Druck“ das Kind nach und nach an einen Schlafrhythmus heranführen (zum Beispiel, indem Sie es jeweils zu einer bestimmten Zeit fragen, ob es müde sei), doch geht es sehr viel einfacher, wenn das Kind selbst erkennen kann, dass es müde und bereit ist, um einschlafen zu können.
  • Kleider: Das Wärme- und Kältegefühl ist sehr individuell und gerade Kinder, die dauernd in Bewegung sind, haben längst nicht so schnell kalt, wie man meinen könnte. Lassen Sie deshalb Ihr Kind immer möglichst selbst bestimmen, wie viel Kleider es braucht. Das gilt gerade auch dann, wenn Sie mit ihm nach draussen in die Kälte wollen. Wohl können Sie ihm sagen, dass es bald kalt wird und es eine Jacke brauchen wird, doch möglicherweise kann es das erst verstehen, wenn es die Kälte tatsächlich spürt, denn es lebt ja noch voll und ganz im Hier und Jetzt, kann also mit künftigen Gegebenheiten noch kaum etwas anfangen. Lassen Sie es deshalb die Erfahrung machen und tragen Sie die Jacke beim ersten Mal einfach mit und warten Sie ab, bis es diese braucht. So kann es lernen, dass es je nach Situation andere Kleider braucht und sieht gleichzeitig sein Vertrauen in Sie bestätigt, dass Sie immer für es sorgen und sein Gespür respektieren.
  • Essen: Kinder essen genau so viel, wie sie brauchen, nicht mehr und nicht weniger, und zwar schon von Natur aus (das gilt zudem umso mehr, wenn sie gestillt werden). Dem sollten Sie unbedingt vertrauen, dem Kind also nicht etwa schmackhaft machen wollen, den Teller auszuessen. Solange das Kind den Mund aufsperrt, mag es essen, wenn es sich hingegen abwendet, hat es genug. Gewöhnen Sie sich von Anfang an, entsprechende Fragen zu stellen, auch wenn Sie selbst schon sehen, wie die Lage ist ("Magst Du noch mehr?" beziehungsweise "Hast Du genug?"). Damit zeigen Sie Ihrem Kind, dass Ihnen seine Befindlichkeit wichtig ist und dass Sie ihm und seinem Gespür vertrauen.
  • Lernen: Kinder lernen von sich aus, also völlig freiwillig. Jedenfalls, solange als sie selbst ausprobieren dürfen und ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Allerdings lernen sie immer nur das, was sie gerade für ihr Leben brauchen und nicht etwa das, was sie später vielleicht einmal brauchen könnten. Das ist nichts als vernünftig, schliesslich weiss ja niemand, was morgen ist, ja nicht einmal, ob es überhaupt ein "morgen" geben wird! Hier liegt denn auch das Hauptproblem der Schulen: Ein Grossteil des Schulstoffes wird mit dem Versprechen vermittelt, dass man dies oder jenes später dann einmal werde gebrauchen können, der unmittelbare Nutzen ist also meistens ziemlich klein. Ganz zu vermeiden ist das zwar nicht, da die Bedürfnisse der Kinder sich ja ganz individuell entwickeln, aus Effizienzgründen aber dennoch gewisse standardisierte Lehrpläne nötig sind. Als Eltern sollten Sie gerade deshalb unbedingt dafür besorgt sein, dass Ihr Kind die Freude am Lernen nicht schon in den ersten Jahren, also noch vor der Schule, verliert und es selbst entscheiden lassen, was es wie lernen will. Lassen Sie Ihr Kind also zumindest während den ersten Jahren von sich aus lernen, wozu es gerade Lust hat. Diese Zeit ist absolut entscheidend für die Lernfreude, die es ein Leben lang braucht. Wird es hingegen schon von seinen Eltern zum Lernen gezwungen, wird es kaum genügend Frustrationstoleranz aufbauen können, die es später in der Schule braucht.

Seien Sie sich also immer bewusst, dass Kinder schon von Natur aus vernünftig sind und Sie werden staunen, dass Sie immer mal wieder von Ihrem Kind überraschend wichtige Dinge für das Leben lernen können!

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Beeinträchtigung der Vernunft

Ihr Kind ist also bereits von Natur aus vernünftig, das heisst, dass sein Gespür und sein Verstand von Anfang an im Einklang sind. Während jedoch das Gespür bereits von Geburt an da ist, entwickelt sich der Verstand erst nach und nach. Sie müssen deshalb aufmerksam sein, um die kognitiven Fähigkeiten des Kindes richtig einschätzen zu können. Oder anders gesagt: Sie sollen das Kind weder unter- noch überfordern.

  • Mangelndes Vertrauen: Vertrauen Sie Ihrem Kind und seinen Fähigkeiten. Es wird zum Beispiel durch Erfahrung von selbst merken, ob es schon genügend geschickt ist oder ob es Ihre Hilfe verlangen muss.
  • Zwang: Zwingen Sie Ihr Kind zu nichts, respektieren Sie sein "Nein!". Wohl braucht es Grenzen, insbesondere in Form von Regeln, die Sie ihm setzen müssen, doch dürfen Sie es niemals zu einer Handlung zwingen, Sie dürfen es bloss daran hindern, indem Sie seinem Willen ein klares "Nein!" entgegensetzen.
  • Vorwürfe: Die oft von Eltern gehörte Aufforderung "Sei doch endlich vernünftig!" beinhaltet nicht nur einen völlig ungerechtfertigten Vorwurf (dass das Kind eben nicht oder nicht genügend vernünftig sei), sondern ist für ein Kind in den ersten Jahren auch noch gänzlich unverständlich, da viel zu abstrakt, und somit schlicht eine Überforderung. Kinder brauchen klare Anweisungen, was sie tun oder lassen sollen.
  • Unterforderung: Wenn ein Kind lernen soll, muss es zwingend eigene Erfahrungen machen dürfen. Lassen Sie es deshalb alles selbst ausprobieren und vergewissern Sie sich immer zuerst, ob Sie ihm wirklich helfen sollen, indem Sie auf sein Bitten warten oder es zumindest zuerst selbst fragen, ob es Hilfe braucht. Wenn Sie ihm hingegen zu schnell Hindernisse aus dem Weg räumen, fehlen ihm die nötigen Herausforderungen, sodass es seine kognitiven Fähigkeiten nicht im nötigen Masse wird entwickeln können, da es unterfordert ist.
  • Überforderung: Umgekehrt kann das Kind auch überfordert werden, wenn Sie von ihm Dinge erwarten, die es aufgrund seiner noch nicht voll entwickelten kognitiven Fähigkeiten nicht verstehen kann. So hat zum Beispiel das Kleinkind noch keine Vorstellung von Zukunft (und auch die Vergangenheit ist ihm schlicht egal). Es bringt deshalb gar nichts, wenn Sie es vor späterer Übelkeit warnen wollen, wenn es zu viel essen würde, Sie sollten vielmehr vertrauen lernen, dass es selbst spürt, wann es satt ist.

Ihre grosse Aufgabe ist also, die Gleichwertigkeit von Gespür und Verstand zu respektieren. Das ist vor allem dann schwierig, wenn die Eltern selbst aus dem Gleichgewicht sind, insbesondere weil sie sich zu sehr auf den Verstand verlassen und zu wenig auf ihr eigenes Gespür horchen. Gerade in den ersten Jahren sollten Sie lernen, Mimik und Gestik Ihres Kindes zu deuten und entsprechend zu reagieren. Je besser Sie das können beziehungsweise je mehr Sie sich dabei Mühe geben, desto mehr fühlt sich das Kind von Ihnen verstanden. Und je besser es sich von seinen Eltern verstanden fühlt, desto mehr vertraut es auch sich selbst, kann also Selbstvertrauen aufbauen. Dieses Vertrauen in das eigene Gespür und den eigenen Verstand ist grundlegend für den Erhalt der Vernunft!

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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