Willensbildung

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Die Phase der Willensbildung ab etwa zwei Jahren ist die zweitwichtigste Phase nach jener des Vertrauens. Es geht nun nämlich um das zweite grundlegende Prinzip der Erziehung, also um Grenzen. Das Kind spürt nun plötzlich – und für Eltern regelmässig völlig überraschend – dass sich in ihm eine riesige Kraft entwickelt, mit der es alles erreichen kann oder sich zumindest vorstellt, dass es alles erreichen könnte. Tatsächlich gilt für Kinder in dieser Phase „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“.

Wir können Kinder um diese Kraft eigentlich nur beneiden, ist sie uns Erwachsenen doch häufig fast ganz abhanden gekommen („Irgendwie fehlt mir einfach die Kraft für diese Ausbildung“. – „Ich mag nicht schon wieder NEIN sagen“ – „Muss ich denn immer um jede noch so kleine Anerkennung bitten?“). Als Eltern sollten Sie sich deshalb zunächst bewusst sein, dass der Wille des Menschen etwas vom Wertvollsten überhaupt ist. Menschen mit gebrochenem Willen sind hingegen wortwörtlich armselig und kaum mehr zu einem verantwortlichen Handeln in Freiheit fähig. Ein „guter Wille“ hingegen ist die Grundlage für ein selbständiges Leben!

Voraussetzung ist aber, dass der Wille des Kindes im Alter zwischen etwa zwei und vier JAhren gewissermassen kultiviert wurde. Und dafür gibt es ein einziges Zauberwort: „NEIN“! Mit diesem – und nur mit diesem – Wort zeigen Sie dem Kind, wo die Grenze seines Willens ist.

Grenzen hat das Kind von Natur aus übrigens keine, das heisst also, dass es in der alleinigen Verantwortung der Eltern liegt, diese zu setzen. Das verlangt von den Eltern anfangs häufig einiges an Überwindung und Mut. Denn Grenzen stehen den bisherigen, also in den beiden ersten Lebensjahren des Kindes, gelebten Prinzip des Vertrauens, wie des Gehalten werden oder des Trosts, scheinbar diametral gegenüber. In Tat und Wahrheit bedingen sich aber diese beiden Prinzipien gegenseitig und geht das eine nicht ohne das andere!

Das zeigt sich insbesondere darin, dass Kinder Grenzen nur dann akzeptieren können, wenn sie bereits genügend Selbstvertrauen entwickelt haben. Denn ohne das Vertrauen, dass das Kind trotz eines „NEINS“ von seinen Eltern geliebt wird, wird es sich zurückgewiesen fühlen und mit entsprechender Verwirrung reagieren. Ein Kind hingegen, das genügend Selbstvertrauen entwickeln konnte, wird einen Widerstand nicht als Abstossung, sondern als Kontakt empfinden, den es unbedingt benötigt.

Ganz ohne Friktionen zwischen Eltern und Kind wird es anfangs übrigens nie gehen. Denn höchstens erfahrene Eltern sind auf das gefasst, was gemeinhin als Trotz bezeichnet wird: Das Kind will etwas und lässt sich weder mit Argumenten oder Erklärungen oder gar Drohungen davon abhalten. Die allermeisten Eltern reagieren da beim ersten Mal ziemlich [[]]hilflos gar mit roher Gewalt, indem sie dem Kind zum Beispiel einfach dass Messer aus den Händen reissen. Spätestens nach diesem ersten Mal sollten Eltern aber „über die Bücher gehen“ und sich in Ruhe Gedanken über diese für das Kind absolut entscheidende Entwicklung machen. Denn wenn Sie erst erkannt haben, dass es sich erstens beim Willen um etwas äusserst Wertvolles handelt und es zweitens ganz einfache Mittel gibt, dieser Urgewalt zu begegnen, werden Sie plötzlich staunen, wie harmlos eigentlich alles ist und wir kurz dieses heikle Phase ist!

Die Antwort der Eltern heisst nämlich schlicht „NEIN“ – und dabei bleiben, das heisst beim Kind bleiben und abwarten, bis es dieses „NEIN“ akzeptiert hat. Wichtig ist dabei, dass Sie das Kind keinesfalls verlassen, sondern ruhig neben ihm bleiben, auch wenn es wild um sich schreit. Sie brauchen das Kind weder zu halten noch mit ihm zu sprechen (zumal es sich mit grösster Wahrscheinlichkeit gegen beides mit Händen und Füssen wehren wird!). Hilfreich ist hingegen, wenn Sie sich bewusst sind, dass Sie das Kind auch in dieser Situation bedingungslos lieben und ihm dabei die wohl wichtigste Fähigkeit des Menschen beibringen, nämlich seinen Willen zum eigenen Vorteil, aber unter Respektierung seiner Umwelt einzusetzen!

Wenn Sie hingegen mit roher Gewalt reagieren, das Kind also zum Beispiel einfach irgendwo losreissen oder es einsperren, brechen Sie seinen Willen. Das hat sowohl für Sie als Eltern als auch für das Kind fatale Folgen: Das Kind wird nämlich zunächst eine riesige Wut auf Sie aufbauen – und sich dabei womöglich auch gleich noch schwören, sich irgendwann an Ihnen zu rächen. Dazu muss es nicht einmal zwingend körperlich stärker als Sie sein, es wird schon genügen, Sie in einem schwachen Moment zu erwischen. Und schliesslich wird sein gebrochener Wille zu äusserst gefährlichen Ersatzhandlungen führen oder sich umgekehrt gegen sich selbst richten, zum Beispiel in Form von Resignation, Faulheit oder gar Depressionen.

Erkennen Sie also den Willen unbedingt als die wichtigste Kraft des Lebens überhaupt und begegnen Sie dem Kind in dieser Phase mit der nötigen Klarheit und Konsequenz.