Versöhnung zwischen Eltern und Kind

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Konflikte zwischen den Eltern und ihren Kindern sind unvermeidlich. Versöhnung ist vor allem in der Phase der Willensbildung das, was der Trost in der Phase der Vertrauensbildung ist: ein Grundbedürfnis des Kindes, für deren Erfüllung allein die Eltern verantwortlich sind.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

In der Phase der Vertrauensbildung dürfen Sie grundsätzlich zu allem "Ja" sagen (ausser natürlich bei wirklichen Gefahren). Konflikte zwischen den Eltern und dem Kind sind deshalb die grosse Ausnahme und Versöhnung noch kaum ein Thema. Der Wille des Kindes beschränkt sich auf den Lebenswillen, der noch nicht über die Grundbedürfnisse hinausgeht. Gewissermassen das Gegenstück zur Versöhnung ist in dieser Phase der bedingungslose, echte Trost.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Willensbildung

Wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa ab dem dritten Lebensjahr, sind Konfrontationen geradezu vorprogrammiert. Denn der Wille des Kindes ist anfangs meistens noch eine absolute und kompromisslose Kraft: Wenn das Kind etwas will, will es das mit all seinen zur Verfügung stehenden Mitteln erreichen, wenn nötig durchaus auch unter Zuhilfenahme von roher Gewalt. Das ist völlig natürlich und zunächst einmal ein Zeichen seiner gesunden Entwicklung! Kinder suchen in dieser Phase denn immer grössere Herausforderungen, die Sie Ihnen unbedingt belassen sollten (ausser natürlich es drohen wirkliche Gefahren). Sie dürfen dem Kind auch einiges zumuten, indem Sie es zum Beispiel aus eigenen Kräften Berge erklimmen lassen oder es seinen Koffer schleppen lassen. Das Kind soll seine neu entdeckte Kraft brauchen und in erster Linie positiv erleben dürfen. Dabei ist es unvermeidlich, dass es immer wieder mal an Grenzen stösst, die seinen Absichten entgegenstehen.

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Toben

Entscheidend ist nun, wie Sie als Eltern reagieren, wenn das Kind eine Grenze überschritten hat. Wenn Sie zum Beispiel die Haltung haben, dass das Kind selbst entscheiden darf, an welchem Platz es essen will (und es Ihnen egal ist, wo Sie essen), können Sie natürlich einfach nachgeben, wenn es plötzlich woanders sitzen will. Wenn Sie hingegen der Meinung sind, dass die Plätze festgelegt sind und sich das Kind an diese Regel halten soll, müssen Sie konsequent bleiben und die Auseinandersetzung annehmen. Gut möglich, dass das Kind dann zu toben beginnt, weil es von Natur aus seine Ziele nicht so schnell aufgibt. Dann gilt es für Sie zunächst einmal ruhig beim Kind zu bleiben und zu warten, bis sich das Kind (von allein!) beruhigt hat. Solange das Kind tobt, kann es von Ihnen rein gar nichts annehmen, jegliches "gute Zureden" wäre völlig kontraproduktiv. Bleiben Sie also standhaft und werden Sie sich dafür bewusst, dass Sie gerade dabei sind, für die Entwicklung des Kindes etwas ganz Entscheidendes zu tun, indem Sie es auch in diesem schwierigen Moment weder verspotten noch verlassen, sondern zu ihm stehen. Erst wenn sich das Kind völlig ausgetobt und wieder beruhigt hat, wird es bereit sein, sich wieder auf Sie einzulassen: Das ist Versöhnung!

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Vereinbarungen

Und erst wenn diese Versöhnung wirklich stattgefunden hat, können Sie mit dem Kind in Ruhe besprechen, was gerade passiert ist. Erklären Sie ihm dann zum Beispiel Ihre Regel und weshalb diese Ihnen wichtig ist. Geben Sie dem Kind aber auch die Chance, selbst Vorschläge zu machen, wie die Sitzordnung in Zukunft organisiert werden könnte. Das Ziel sollten in dieser Phase Vereinbarungen sein, an denen das Kind möglichst auf Augenhöhe mit Ihnen mitwirken kann. So lernt es Verantwortung zu übernehmen und kann seine Willenskraft konstruktiv einbringen. Wenn das Kind spürt, dass seine Anliegen erst genommen und so weit als möglich berücksichtigt werden, wird es seine Kraft von selbst dafür aufbringen, dass es die Vereinbarung auch erhalten kann. So wird es aus der ursprünglichen rohen Willenskraft mehr und mehr eine Art kultivierter Wille (und später im Idealfall eine freier Wille).

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Als Eltern werden Sie sich selbstverständlich grösste Mühe in der Erziehung geben, doch perfekt werden Sie trotzdem nicht sein. Das ist allerdings auch gar nicht verlangt! Kinder können nämlich mit erstaunlich viel Erziehungsfehlern umgehen und werden Ihnen diese auch ohne weiteres verzeihen können, wenn sie wenigstens spüren, dass Sie sich Mühe gegeben haben!

Am einfachsten geht das, indem Sie dem Kind gegenüber auch einmal Ihre eigenen Fehler eingestehen. Das tut Kindern besonders gut, denn sie kommen ja von Geburt aus mit der Vorstellung einer vollkommenen Welt zu ihren Eltern! Sie müssen also schon sehr früh damit umgehen lernen, dass sie nicht mehr "im Paradies" sind. Achten Sie aber unbedingt darauf, dass Sie mit dem Kind in einfachen Worten sprechen ("Ich weiss, ich hätte Dich zuerst fragen sollen.") und nicht etwa in die Metaebene abschweifen ("Bitte entschuldige mich dafür, dass ich Dich übergangen habe."). Bedenken Sie auch, dass Kinder in der Regel erst etwa mit der Pubertät zur Selbstreflexion fähig werden. Es macht deshalb vorher noch kaum Sinn, zum Beispiel mit ihnen über Ihre Erziehungsgrundsätze zu diskutieren (es sein denn, Kinder sprechen das Thema von sich aus an).

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Erwachsenwerden (etwa 16 bis 25 Jahre)

Während Jugendliche in der Pubertät vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, haben sie danach häufig das Bedürfnis, mit ihren Eltern auf die Jugend zurückzublicken. Sie haben sich dann in der Regel mit Gleichaltrigen darüber ausgetauscht, wie deren Erziehung verlaufen ist und sich entsprechend Gedanken über das "richtig" und das "falsch" gemacht. Diese Gelegenheit sollten Sie wahrnehmen. Dabei sollten Sie erstens darauf gefasst sein, dass Sie ziemlich überrascht sein werden, weil Kinder die Erziehung beziehungsweise die Erziehungsfehler fast immer ganz anders erfahren haben als Sie, und zweitens sollten Sie sich bewusst sein, dass Sie nichts mehr daran ändern können! Probieren Sie deshalb möglichst offen und gelassen zu sein, wenn Sie Feedback erhalten. Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene haben in diesem Alter den berechtigten Anspruch mit Ihnen auf eine partnerschaftliche Art und Weise zu kommunizieren. Sie sind nun definitiv keine Kinder mehr und haben vielleicht bereits Ideen, wie Erziehung besser oder zumindest anders gehen könnte.

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Erwachsen (ab etwa 25 Jahre)

Die meisten Mensch erleben irgendwann Situationen, in denen sie sich die Frage stellen müssen, woher denn all diese Schwierigkeiten herkommen mögen. Das gilt vor allem für Beziehungsprobleme. Werden diese zum Beispiel im Rahmen einer Therapie angegangen, wird regelmässig zunächst einmal die Kindheit thematisiert. Menschen können sich zwar in aller Regel an die ersten beiden, alles entscheidenden Phasen der Erziehung, also etwa die ersten vier Lebensjahre, kaum mehr aktiv erinnern. Doch ist es ja auch nicht so, dass sich die Eltern danach plötzlich ganz anders verhalten hätten. So wundert es denn kaum, dass die allermeisten Probleme im Leben eines Menschen mit dem Themenkomplex Selbstvertrauen und freier Wille (also den beiden Grundprinzipien der Erziehung) beziehungsweise Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit (also dem Ziel der Erziehung) zu tun haben. Wenn sich Klienten in einer Therapie dieser Zusammenhänge bewusst werden, ist es nur naheliegend, dass sie zum Beispiel Wut auf ihre Eltern oder Trauer entwickeln können. Jenachdem wie schnell es dann gelingt, sich mit den Eltern zu versöhnen (was sowohl in der Therapie selbst oder direkt mit den Eltern möglich ist), kann auch die Verantwortung für das eigene Leben übernommen werden. Das ist ein enorm wichtiger Schritt, denn die Eltern können an der Erziehung rückwirkend ja nichts mehr ändern und haben ihre Aufgabe, in der Regel "nach bestem Wissen und Gewissen", erledigt. Es hilft also wenig, seinen Eltern im Erwachsenenalter noch Vorwürfe machen zu wollen (jedenfalls solange es nicht um kriminelles Verhalten ging). Entscheidend ist dabei, dass diese Art der Versöhnung auch einseitig möglich ist, während das Kind damals noch auf die unbedingte Hilfe der Eltern angewiesen war. Das ist insofern wichtig, als Eltern häufig nicht bereit, beziehungsweise nicht fähig sind, an solchen Prozessen mitzuwirken.

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Folgen mangelnder Versöhnung

Versöhnung zwischen dem Kind und seinen Eltern ist vor allem in der Phase der Willensbildung ein absolutes Grundbedürfnis. In dieser Zeit gilt es zu lernen, mit den unvermeidbaren Konfrontationen konstruktiv umzugehen, also die Auseinandersetzung anzunehmen. Manche Eltern reagieren ziemlich hilflos auf Tobsuchtsanfälle ihrer Kinder, einerseits aus Unwissen darüber, was im Kind gerade geschieht, andererseits weil sie sich durch die Heftigkeit der kindlichen Reaktionen überfordert fühlen. Sie sollten deshalb unbedingt und spätestens nach dem ersten Mal lernen, angemessen zu reagieren, denn die Folgen könnten sonst ziemlich gravierend sein:

Trotzreaktionen

Die weitaus häufigste Reaktion auf mangelnde Versöhnung ist Trotz. Das heisst, das Kind, das mit seinem Willen aufgeprallt ist und sich nicht versöhnen konnte, wird wieder und wieder versuchen, seinen Willen durchzusetzen. Der Wille an sich ist ja eine positive und konstruktive Kraft. Selbst wenn die Eltern versuchen, den Willen des Kindes mit roher Gewalt zu brechen, verschwindet die Kraft nicht einfach, sondern sie wird erstens mit zunehmenden Alter grösser und zweitens durch die wiederholte Beeinträchtigung tendenziell destruktiv! Sie können sich das zum Beispiel wie eine defekte Waffe vorstellen, die durch den Defekt unkontrollierbar und deshalb umso gefährlicher geworden ist.

Kinder lernen insbesondere aus Erfahrung. Wenn das Kind erfahren hat, dass es sich mit seinem Willen nicht durchsetzen konnte, wird es neue Wege suchen. Konnte es sich versöhnen, hat es die Chance zu kooperieren, also zum Beispiel zusammen mit den Eltern Regeln zu vereinbaren. Hat jedoch keine Versöhnung stattgefunden, wird es zwar auch lernen, allerdings ohne Rücksicht auf seine Umwelt (da es von dieser ja nicht dazu angeleitet wurde). Es lernt dann, dass es noch raffinierter oder mit noch mehr Kraft vorgehen muss, um sein Ziel zu erreichen. Es wird zum Beispiel lernen, dass es die Eltern nur lange genug ärgern muss, bis diese nachgeben. Dabei wird es allerdings in einen fatalen Teufelskreis geraten, da sich solchermassen verärgerte Eltern noch weniger dem Kind annehmen werden. Das Kind wird sich dann immer "verrückter" benehmen müssen, um endlich die nötigen Grenzen gesetzt zu bekommen. Oder die Eltern rasten irgendwann aus (und bereuen es danach). Die Gefahren sind gross und meistens nicht mehr kontrollierbar, wenn Menschen etwas aus Trotz machen. Kleinere Kinder können vielleicht noch mit roher Gewalt gebändigt werden, doch wird sich das Problem zunehmend verschärfen, wenn das Kind kräftiger und geschickter wird.

Ohne wirkliche Versöhnung lernt das Kind bloss eines: dass es von seinen Eltern nicht mehr geliebt wird, wenn es seinen Willen äussert. Der Wille ist aber nebst dem Selbstvertrauen die weitaus wichtigste Kraft des Menschen, um eine erfolgreiches und kreatives Leben führen zu können. Dazu muss das Kind lernen können, aus dem noch rohen Willen mehr und mehr einen freien Willen zu formen: Es muss seinen Willen als eine positive Kraft erfahren dürfen, indem es sich entweder durchsetzen kann, sich nach einer allfälligen Auseinandersetzung wieder versöhnen kann oder etwas so vereinbaren kann, dass die Anliegen beider Seiten berücksichtigt werden können. Für diesen Prozess sind allein die Eltern verantwortlich, das heisst, Sie können nicht einfach vom Kind fordern, dass es “vernünftig" werden solle, es wäre damit schlicht überfordert!

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Weitere mögliche Folgen

Je nach Persönlichkeit reagiert ein Kind mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten, so zum Beispiel (in alphabetischer Reihenfolge):

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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