Willensbildung

Aus 2 x 2 der Erziehung
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ARTIKEL IM AUFBAU / IN ÜBERARBEITUNG!




Die Phase der Willensbildung ab etwa dem dritten Lebensjahr ist die wichtigste Phase der Erziehung nach jener der Vertrauensbildung. Es geht um das zweite Grundprinzip der Erziehung, also um Grenzen beziehungsweise um das Ziel des freien Willens. Das Kind spürt nun plötzlich – und für Eltern regelmässig völlig überraschend – dass sich in ihm eine riesige Kraft entwickelt, mit der es alles erreichen kann oder zumindest glaubt, dass es alles erreichen könnte. Tatsächlich gilt für Kinder in dieser Phase „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“.

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"Kultivierung" des Willens

Die Allmachtsphantasien von Dreijährigen sind legendär. Der Glaube, Berge versetzen zu können, hat viel mit dem Willen zu tun. Dieser Glaube ist zwar sehr wertvoll, doch muss der Mensch gleichzeitig lernen, dass er gewisse Grenzen respektieren muss, ansonsten er sehr schnell abstürzen könnte. Voraussetzung für diesen Respekt ist deshalb, dass der Wille des Kindes im Alter zwischen etwa zwei und vier Jahren gewissermassen kultiviert wurde. Das heisst, als Eltern müssen Sie lernen, Ihrem Kind Grenzen zu setzen. Dafür gibt es ein einziges Zauberwort: „Nein!“. Mit diesem, laut und deutlich (!) ausgesprochenen Wort zeigen Sie dem Kind, wo die Grenze seines Willens ist.

Grenzen kann das Kind von Natur aus nämlich weder erkennen noch einhalten, das heisst also, dass es in der alleinigen Verantwortung der Eltern liegt, diese zu setzen. Das verlangt von den Eltern anfangs häufig einiges an Überwindung und Mut. Denn Grenzen stehen dem ersten Prinzip des Vertrauens scheinbar diametral gegenüber: Während die Vertrauensbildung ein "Ja" voraussetzt, verlangt die Willensbildung nun nach einem "Nein!". In Tat und Wahrheit bedingen sich diese beiden Prinzipien aber gegenseitig: Das eine geht nicht ohne das andere!

Das zeigt sich insbesondere darin, dass Kinder Grenzen nur dann akzeptieren können, wenn sie bereits genügend Selbstvertrauen entwickelt haben. Denn ohne das Vertrauen, dass das Kind trotz eines „Neins!“ von seinen Eltern geliebt wird, wird es sich zurückgewiesen fühlen und mit entsprechender Verunsicherung reagieren. Ein Kind hingegen, das genügend Selbstvertrauen entwickeln konnte, wird einen Widerstand nicht als Zurückweisung, sondern als Kontakt empfinden, den es unbedingt benötigt.

Wie jede Kraft, will auch der Wille gebraucht, das heisst gefordert werden. Kinder brauchen deshalb gerade in diesem Alter Herausforderungen. Ermutigen Sie also das Kind beim Klettern auf den Baum oder beim Wandern in den Bergen. Auch Fussball spielen eignet sich wunderbar für Kinder in diesem Alter: Jedes Kind kann auf einen Ball eindreschen, doch muss es auch lernen, den Ball zu treffen (und nicht das Bein der Mitspieler), oder lernen, dass es den Ball nur in bestimmten Situationen in die Hände nehmen darf. Das sind elementare Regeln, mit denen der Wille auf sehr einfache und doch sehr effiziente Art und Weise in sinnvolle und nützliche Bahnen gelenkt werden kann.

Übertreiben Sie es aber nicht: Ihr Kind braucht in diesem Alter noch kein "Training". Es ist zwar durchaus möglich, Kinder schon in diesem Alter zu Höchstleistungen zu treiben und auf einen künftigen Tennisstar zu hoffen. Doch geht das in der Regel nur nach dem Prinzip von "Zuckerbrot und Peitsche", grenzt also eher an Dressieren. Falls Sie unsicher sind, wie weit Sie gehen dürfen: Solange das Kind Freude an den Herausforderungen hat, sind Sie "im grünen Bereich".

Doch auch Kinder können mit dem Erwachen des Willens nun ausdrücklich und lautstark "Nein!" sagen. Und auch das ist gut so! Wenn Sie als Eltern vom Kind fordern, dass es Ihr "Nein!" respektiert, müssen Sie sich umgekehrt unbedingt auch daran halten. Denn Zwingen würde gar nichts helfen, sondern sich ganz im Gegenteil ausgesprochen kontraproduktiv auswirken. Wenn das Kind zum Beispiel den Fussball nicht mehr aus den Händen geben will, dürfen Sie ihm diesen nicht einfach aus den Händen reissen. Das wäre ein Machtmissbrauch und somit eine Grenzüberschreitung Ihrerseits: Sie setzen damit dem Kind keine Grenze, sondern brechen seinen Willen. Ein Kind, dessen Wille gebrochen wird, wird sich aber gut überlegen, wie es seinen Willen das nächste Mal durchsetzen kann und es wird früher oder später entsprechende Wege finden (spätestens wenn es Ihnen körperlich nicht mehr völlig unterlegen ist)! Besser wäre also zum Beispiel das Fussballspiel einfach zu unterbrechen und zu warten: So kann das Kind verstehen, dass das Spiel nicht weitergehen kann, wenn es sich nicht an die Regeln hält. Da Kinder aber von Natur aus ausgesprochen kooperativ veranlagt sind, wird es nicht lange gehen und es will wieder mitspielen. Vielleicht klappt das noch nicht beim ersten Mal, doch mit ein wenig Güte und Geduld lernt das Kind sehr schnell, wie es seinen Willen erfolgreich einsetzen kann.

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"Trotzreaktionen" und "Tobsuchtsanfälle"

Ganz ohne Konflikte zwischen Eltern und Kind wird es anfangs selten gehen. Denn höchstens erfahrene Eltern sind auf das gefasst, was gemeinhin als Trotz bezeichnet wird: Das Kind will etwas und lässt sich weder mit Argumenten noch Erklärungen oder gar Drohungen davon abhalten. Die allermeisten Eltern reagieren da beim ersten Mal ziemlich hilflos oder gar mit roher Gewalt, indem sie zum Beispiel dem Kind einfach das als zu gefährlich empfundene Messer aus den Händen reissen (wobei dann gerade dadurch regelmässig erst eine eigentliche Gefahr entsteht!).

Spätestens nach einer solchen Eskalation sollten sich die Eltern Zeit nehmen und sich in Ruhe Gedanken über diese für das Kind absolut entscheidende Entwicklung machen. Denn wenn Sie erst einmal erkannt haben, dass es sich beim Willen zum einen um etwas äusserst Wertvolles handelt und es zum anderen ganz einfache Mittel gibt, dieser Urgewalt konstruktiv zu begegnen, werden Sie plötzlich staunen, wie harmlos eigentlich alles ist und wie kurz diese "schwierige" Phase ist!

Die Antwort der Eltern heisst nämlich ganz einfach, aber laut und deutlich, „Nein!“. Es genügt ein einziges (!) "Nein!". Vorausgesetzt Sie bleiben konsequent dabei. Das heisst beim Kind bleiben und geduldig abwarten, bis es dieses „Nein“ akzeptiert hat. Wichtig ist dabei, dass Sie das Kind keinesfalls verlassen, sondern ruhig neben ihm bleiben, auch wenn es wild um sich schreit. Sie brauchen das Kind weder zu halten noch mit ihm zu sprechen (zumal es sich mit grösster Wahrscheinlichkeit gegen beides mit Händen und Füssen wehren wird!). Konzentrieren Sie sich dafür darauf, dass Sie das Kind auch in dieser Situation bedingungslos lieben: Vertrauen Sie ihm, dass es sich von alleine (!) wieder beruhigt und danach etwas ganz Wichtiges gelernt hat: Es darf seinen eigenen Willen haben, doch kann dieser auf Grenzen seiner Umwelt stossen und muss entsprechend gebändigt werden. Denn mit einer solch enormen Kraft muss das Kind erst umzugehen lernen. Dazu braucht es seine Eltern als eine Art Sparringpartner: Als Eltern müssen Sie hinstehen und Widerstand leisten. Wenn das Kind Sie zum Beispiel schlägt (was in dieser Phase häufig vorkommt und an sich völlig normal ist!), dürfen Sie es weder zurückschlagen noch einfach davor ausweichen. Rufen Sie stattdessen sofort und laut „Nein!“ (Sie können auch "Halt!" oder "Stop!" rufen, doch ist das bereits eine Abschwächung von "Nein!"). Sie dürfen das Kind dabei auch richtig anschreien. Gerade bei Jungen kann das nötig sein. Im Extremfall können sie dem tretenden Kind auch einmal die Kante der Schuhsohle hinhalten, sodass es seine Kraft körperlich zu spüren bekommt. Wichtig ist dabei, dass Sie in voller Überzeugung - aber immer nur einmal! - ein klares Signal setzen. Wenn Sie hingegen mehrmals und in abgeschwächter Form reagieren, werden Sie ein Kind, in dem gerade der Willen zu explodieren beginnt, niemals überzeugen können und es wird weiter nach seinen Grenzen suchen. Wenn das Kind aber von seinen Eltern keine Grenzen erhält, wird es diese ausserhalb zu suchen beginnen, was dann regelmässig mit unkontrollierbaren Gefahren verbunden ist.

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Gebrochener Wille und Willensschwäche

Während es in früheren Zeiten im Rahmen eines autoritären Erziehungsstils geradezu eine Tugend war, den Willen des Kindes zu brechen, fielen einige Eltern mit der sogenannten antiautoritären Erziehung gleich ins andere Extrem und begannen schlicht darauf zu verzichten, Grenzen zu setzen. Beides ist ausgesprochen kontraproduktiv.

Wenn Sie auf den Willen mit roher Gewalt reagieren, das Kind also zum Beispiel einfach irgendwo losreissen, es einsperren, oder es gar schlagen, wird sein Wille Wille gebrochen. Das hat sowohl für Sie als Eltern als auch für das Kind fatale Folgen: Das Kind wird zunächst eine riesige Wut auf Sie entwickeln, die es aufgrund einer körperlichen Unterlegenheit aber noch nicht erfolgreich einsetzen kann, und sich womöglich gleich noch vornehmen, sich irgendwann an Ihnen zu rächen. Dazu muss es nicht einmal unbedingt warten, bis es körperlich stärker als Sie sein wird: es wird schon genügen, Sie in einem schwachen Moment mit List zu erwischen! Die Beziehung zwischen Ihnen und dem Kind wird dadurch jedenfalls massiv beeinträchtigt und entsprechend wird das Kind auch nur beschränkt seine Beziehungsfähigkeit entwickeln können.

Und schliesslich wird sein gebrochener Wille das Kind zu äusserst gefährlichen Ersatzhandlungen provozieren oder sich gar gegen es selbst richten, zum Beispiel in Form von Resignation, Faulheit, leichter Beeinflussbarkeit oder gar Depressionen. Denn der Wille mag zwar gebrochen sein, verschwunden ist er deshalb noch lange nicht. Er wird sich ganz einfach in wortwörtlich krummer Form äussern.

Doch auch das Gegenteil eines gebrochenen Willens ist verheerend: Wenn Sie dem Willen des Kindes keinen Widerstand entgegenhalten, wird dieser schlicht ins Leere laufen. Ein Kind, das einfach ohne Rücksicht auf seine Umwelt tun und lassen kann, was ihm gerade einfällt, wird seine Antriebskraft sehr schnell verlieren. Es wird in Gruppen zudem schnell zum Störenfried und wird später Mühe haben, Beziehungen einzugehen. Der Wille ist wie ein Muskel, der trainiert werden will, ansonsten er sehr schnell erschlafft und womöglich zu kränkeln beginnt.

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Freier Wille als Ziel der Erziehung

Der Wille ist also eine äusserst wertvolle Kraft des Menschen, verlangt während seiner Entfaltung aber auch sehr viel Aufmerksamkeit, ansonsten diese Kraft entweder verkümmert oder zum Schaden anderer ausartet. Das Ziel der Erziehung sollte deshalb der freie Wille sein.

Freier Wille bedeutet, dass ein Mensch Mittel und Wege findet, seine Ziel zu erreichen. Ziele, die nicht bloss für den Menschen selbst sinnvoll sind, sondern auch für seine Umwelt von Nutzen sind. Es geht also darum, dass der Mensch sein ganzes Potential abrufen kann, all seine Kreativität leben kann, sodass er damit selbst Zufriedenheit und Glück findet und auch seine Mitmenschen erfreuen kann. Freier Wille ist deshalb auch ziemlich genau das Gegenteil von Egoismus, denn er strebt nicht bloss nach kurzfristiger Befriedigung oder Gewinn an Materiellem, sondern dient höheren Zielen der Menschheit.

Dazu ist jeder Mensch fähig. Voraussetzung ist aber, dass der Wille in den ersten, alles entscheidenden Jahren des Kindes von den Eltern entsprechend kultiviert wurde, das heisst dem Kind Grenzen gesetzt wurden. Dafür sind ausschliesslich die Eltern zuständig (also weder die Schule noch die Nachbarn). Wenn das Kind aber in den ersten vier Jahren erst einmal gelernt hat, mit diese Kraft konstruktiv umzugehen, wird es seinen ganz individuellen Willen von alleine und selbst zum Guten weiterentwickeln. Es kann dann bereits in der (Vor)Schule seine Anliegen ausdrücken oder seine eigenen Ideen umsetzen. Gleichzeitig kann es auch Grenzen seiner Umwelt respektieren und ist seinerseits fähig, "Nein!" zu sagen, das heisst sich zum Beispiel gegen Grenzüberschreitungen seiner Kameraden zu wehren. Oder anders ausgedrückt: Das Kind ist genügend reif, um fortan weitgehend selbständig erwachsen zu werden. Denn von diesem Moment an, dürfen Sie sich als Eltern bereits auf eine Art Begleitung zurückziehen. Ob das Kind diese Reife bereits erreicht hat, können Sie zum Beispiel daran erkennen, ob es Ihnen auch seine Sorgen ausserhalb der Familie mitzuteilen oder Sie um Rat fragt, wenn es in gewissen Situationen unsicher ist. Beides macht es nämlich nur dann, wenn es zu Ihren genügend Vertrauen hat und sich seine kann, dass sein Wille respektiert wird, auch wenn er von den Vorstellungen der Eltern abweicht.

Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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